Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin

Die Brücke zur Erinnerung

(21.03.2019)

Wichtig, hilfreich, beruhigend: zusammen den Intensivaufenthalt professionell aufarbeiten

Die Welt dreht sich immer weiter. Doch bei Patienten, die in ein künstliches Koma versetzt oder die über einen längeren Zeitraum beatmet werden, bleibt das Leben außerhalb der Intensivstation stehen. Oft fragen die Patienten nach ihrer Behandlung, was während dieser Zeit passiert ist. Um das Geschehen auf der Intensivstation wie im realen Leben nachvollziehen zu können, erhalten Betroffene ab sofort ein persönliches Intensivtagebuch.


In der Liebeskomödie Während du schliefst mit Sandra Bullock ist alles ganz einfach. Peter (gespielt von Peter Gallagher) wird überfallen und liegt darauf hin im Koma. Dabei schaut er richtig gut aus. Mit rosigen Wangen liegt er auf der Intensivstation. Und schwupp, nach einigen Tagen wacht er auf, frisch und erholt. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Jeder vierte bis fünfte Patient einer Intensivstation ist von Depressionen, Angst oder einer posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Den Patienten fällt es oft schwer, die verlorene Zeit sowie durch Sedierung bedingte wahnhafte Erlebnisse zu rekonstruieren und zu verarbeiten. Auch Angehörige sind von diesen nervenaufreibenden und endlos erscheinenden Ereignissen zwischen Hoffen und Bangen betroffen. Zwei bis sechs Monate nach der Entlassung des Patienten neigen viele Angehörige zu Belastungs- und Angststörungen oder Depressionen.

Wolfgang Wack, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin am Krankenhaus St. Barbara Schwandorf, kennt diese Problematik. Um den Patienten vorbeugend zu helfen, hat er über viele Monate hinweg ein Intensivtagebuch konzeptioniert. 

Das Tagebuch wird während des Patientenaufenthalts auf der Intensivstation von Pflegepersonal und Ärzten geführt. Darin werden die Aufnahme, der Aufenthalt im Krankenhaus St. Barbara, der Krankheitsverlauf und die verschiedenen Entwicklungsschritte des Patienten chronologisch beschrieben. Aber auch die Angehörigen sind eingeladen, Notizen, Bilder (zum Beispiel von der Familie), Zeitungsausschnitte und andere Alltagseinflüsse einzukleben und niederzuschreiben. „Mit Hilfe eines persönlichen Tagebuchs ermöglichen wir jedem Patienten, der längere Zeit bei uns auf Intensiv liegt und sediert wurde, diese Zeit nachzuverfolgen und zu verstehen“, sagt Wack. Darum sei ihm auch wichtig gewesen im Tagebuch einige Fachausdrücke zu erklären: „Jeder soll ja genau verstehen, was mit ihm passiert ist.“

In Deutschland nutzen bisher nur wenige Intensivstationen diese Art der psychotherapeutischen Nachsorge. Das Buch hilft nicht nur den Patienten, es unterstützt auch die Angehörigen, diese Zeit, in der sich ein nahestehender Mensch in einem kritischen Zustand befindet oder gar verstirbt, zu verstehen und zu verarbeiten. Ein solches Tagebuch kann den oben genannten Spätfolgen entgegenwirken, indem es den Betroffenen hilft, die verlorene Zeit zu rekonstruieren.

Finanziert wird das Intensivtagebuch von den Freunden und Förderern des Krankenhauses St. Barbara Schwandorf e. V..