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Vom Hörsaal in den Kreißsaal
Es war eine ganz besondere Herausforderung: Schon seit Jahren hatte die WHO gefordert, die Hebammenausbildung zu akademisieren. Doch was in der EU schon lange zum Standard gehörte, war in Deutschland zunächst nicht so leicht durchzusetzen. Zu starr waren die vorhandenen Ausbildungsstrukturen – und zu unspezifisch die politischen Vorgaben. Doch 2020 war es endlich soweit: Das neue Hebammengesetz mit der Akademisierung der Hebammenlehre trat in Kraft. Vorausgegangen war eine grundlegende Reform, in die der Hebammenverband seine Expertise einbringen konnte. Das Ergebnis ist nun ein gesetzlicher Rahmen, in dem die theoretischen und praktischen Anforderungen an die tatsächlich nötigen Kompetenzen moderner Hebammen angepasst wurden.
Ein Gewinn für die Region
Für die Oberpfalz war diese Entwicklung ein Glücksfall: Denn zusammen mit der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH) konnte bereits zum Wintersemester 2019 der Modellstudiengang Hebammenkunde auf die Beine gestellt werden. Davon profitieren die Krankenhäuser in der Region – als Hotspot der neuen dualen Ausbildung. Zur Erinnerung: Deutschlandweit klagen die Geburtshilfekliniken seit Jahren über Hebammen-Mangel. In der Oberpfalz wird es schon bald gut ausgebildeten Nachwuchs geben, der durch den hohen fachpraktischen Anteil die beteiligten Kliniken gut kennt – und möglicherweise bleibt. „Das ist eine große Chance für unsere Häuser“, weiß auch Sabine Beiser, Geschäftsführerin der Klinik St. Hedwig. „Indem wir den Studierenden im Rahmen der Ausbildung ihre individuellen Möglichkeiten bei uns aufzeigen, arbeiten wir nachhaltig an einer für uns so wichtigen stabilen Personalstruktur.“
Die Barmherzigen als stärkster Partner der OTH
Nicht umsonst stellt der Verbund der Barmherzigen Brüder mehr als die Hälfte der fachpraktischen Ausbildungsplätze für den dualen Studiengang. Da die Studierenden sich dabei für ein Rotationssystem entscheiden, lernen sie in den Häusern in Regensburg, Straubing, Schwandorf und Neumarkt alle Facetten ihres Berufs kennen. Tatsächlich ist dieses Angebot in Bayern einzigartig: Denn hier können die Nachwuchshebammen Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Bereichen sammeln – von der Maximalversorgung im universitären Perinatalzentrum der Versorgungsstufe 1 in der Klinik St. Hedwig über kleinere Geburtshilfestationen im ländlichen Raum und außerklinische Geburtshilfe bis hin zu einer reinen Hebammenpraxis.
Inzwischen ist aus dem Modellstudiengang ein reguläres duales Studium geworden und ein zweiter Jahrgang konnte zum Wintersemester 2020 starten. Wieder verdeutlichten die rund 700 Bewerberinnen für 22 Studienplätze (im Vorjahr waren es noch 200!) das hohe Interesse am Studiengang – die optimalen Voraussetzungen in der Oberpfalz haben sich offenbar bundesweit herumgesprochen. Was viele nicht wissen: Alle Strukturen für diese neue, akademische Hebammenausbildung wurden dazu in der Region ganz neu entwickelt. So muss das Curriculum natürlich den Anforderungen eines Bachelor-Studiums entsprechen und gleichzeitig den Theorie-Praxis-Transfer sicherstellen. Die fachpraktische Ausbildung wiederum, die immerhin die Hälfte der Zeit in Anspruch nimmt, muss höchste Qualität sicherstellen, wobei hier die Verantwortung in den beteiligten Kliniken liegt. Die organisatorische Vorarbeit war entsprechend groß, ehe der Studiengang überhaupt starten konnte. Doch der vollständige Neubeginn hatte auch Vorteile, da man sich hier nicht mühsam mit alten Strukturen vorhandener Hebammenschulen auseinandersetzen musste.
Eine nachhaltige Investition in die Zukunft
Für die Krankenhäuser der Barmherzigen Brüder als größten fachpraktischen Partner der OTH hat sich das Engagement von Anfang an gelohnt. „Dieser Studiengang ist ein wichtiger Schritt heraus aus der Unterversorgung“, bestätigt auch Hebamme Astrid Giesen, Praxiskoordinatorin der Hebammenstudierenden. Ihre Stelle wurde eigens dafür geschaffen, um die Studierenden im Krankenhausverbund optimal zu betreuen. Denn die Barmherzigen kooperieren in Niederbayern und der Oberpfalz ausschließlich mit Beleg-Hebammen – eine besondere Herausforderung bei der Planung. Diese 35 Beleg-Hebammen betreuen den Nachwuchs rund um die Uhr und mit viel Engagement. Ansprechpartnerin bei der Koordination ist eine leitende Hebamme, die mit Giesen eng zusammenarbeitet. „Uns ist es extrem wichtig, dass wir gut ausgebildeten Nachwuchs aufbauen“, erläutert Giesen. „Und dazu gehört nicht nur das Fachwissen zu Geburtshilfe und Nachsorge, sondern auch eine gewisse Herzensbildung. Schließlich ist das Thema Geburt hochemotional und Gebärende brauchen neben der medizinischen Betreuung auch Ansprache und Zuwendung.“ Mit den Beleghebammen ist für Giesen genau das gewährleistet – losgelöst von Dienstplänen und Stationsroutine arbeiten sie besonders flexibel, engagiert und mit hoher Motivation. „Das sind die besten Vorbilder für unsere zukünftigen Kolleginnen.“
Ein Wehrmutstropfen bleibt allerdings: Nach wie vor ist die Finanzierung des praktischen Ausbildungsteils mit Beleghebammen schwierig. Das Problem: Als soloselbstständige Hebammen ist ihr Einsatz für die Studierenden ein Mehraufwand mit zusätzlichem Engagement. „Sie leisten etwa 25 Prozent on top zu ihrer sonstigen Tätigkeit in unseren Häusern“, bestätigt Geschäftsführerin Beiser. „Das ist eine Lücke in der Finanzierung, die geklärt werden muss. Auf Dauer können wir die gesetzlich geforderte Qualität nur erfüllen, wenn die Mehrleistung der Beleghebammen entsprechend vergütet werden kann.“ Inzwischen gibt es auf bayerischer Ebene eine Arbeitsgemeinschaft, die sich mit diesem Thema befasst – und der auch Beiser angehört.
Ein Traumberuf mit Zukunft
Dennoch ziehen die Hebammen und das medizinische und pflegerische Personal bei den Barmherzigen schon jetzt ein positives Fazit. Das Hebammenstudium ist für die Versorgung der Region ein großer Gewinn. Mit über 3300 Geburten jährlich allein in St. Hedwig stellt der Krankenhausverbund so eine moderne und familienzentrierte Geburtshilfe auf höchstem wissenschaftlichen Niveau sicher. Mit praktischen Erfahrungen in anderen Versorgungsstufen und außerklinisch lernen die Studierenden die faszinierenden Möglichkeiten eines Berufs kennen, der schon immer für den Fortbestand der Menschheit existenziell war und für viele ein Traumberuf ist.
„Schön wäre es nun noch, wenn die Auswahlkriterien der Studierenden an die tatsächlichen späteren Anforderungen angepasst werden könnten“, wünscht sich Praxiskoordinatorin Astrid Giesen. „Ein Numerus Clausus von derzeit 1,5 verrät leider nicht, ob eine Bewerberin wirklich geeignet ist.“ Empathie und Kommunikationsfähigkeit sind Grundvoraussetzung für die Arbeit mit Familien. Sie plädiert daher für ein verpflichtendes Praktikum im Kreißsaal als Bewerbungsvoraussetzung – und spricht damit auch für ihre engagierten Kolleginnen. In anderen Bundesländern ist dies übrigens bereits Standard.